Im Jahr 1985 präsentierte die Staatsgalerie Stuttgart eine umfassende Ausstellung zum Thema Die Musik in der bildenden Kunst im 20. Jahrhundert. Zusammen mit dem umfangreichen Katalog gilt dies als die erste ein-gehende Übersicht zum Thema Kunst und Musik, die die Verbindung in einen breiten entwicklungsgeschichtlichen Zusammenhang stellt. Dabei ist es nicht verwunderlich, dass Johann Sebastian Bach den Auftakt der Betrachtung bildet. In seiner Musik entdecken die Rezipienten
Struktur, Gesetz, Analyse, Rationalität, aber auch Gefühl, Verstand und unbändige Energie bis hin zu Größe, Macht, ja Göttlichem. Unterschiedliche Interpretationsformen der Bach‘schen Musik – von pathetisch, affektgeladen, sinnlich, meditativ bis hin zu sachlich, rational – unterstützen diese Sichtweisen.
So ist es nicht erstaunlich, dass die Musik Bachs seit der Romantik, verstärkt aber seit der Jahrhundertwende, wichtige Impulse für die Bildenden Künstler liefert. In besonderem Maße gilt dies für die Entwicklung der abstrakten Kunst, reicht aber bis zu zeitgenössischen Positionen. Herausgefordert, Immaterielles einzufangen und zu visualisieren, aber auch Klarheit und Struktur der Kompositionen sichtbar zu machen, sind Farbige Kompositionen, Farbklänge oder auch Fugen entstanden.
Vor dieser Bedeutung Bachs für die Bildende Kunst bis heute hat das Stadtmuseum anlässlich des 93. Bachfestes in Tübingen im Herbst 2018 die Ausstellung Bach 8 in ihre Reihe Kunst im Dialog mit dem Stadtmuseum aufgenommen. Bach bearbeitet lautet das Motto des Festes, welches möglichst viele Blickwinkel auf den Komponisten und seine Musik vorstellen und nicht nur Künstler, sondern auch Wissenschaftler, Filmemacher, Kuratoren, Bürger, Studierende, Jugendliche und Kinder mit ein-binden möchte.
So entstand die Idee, die Künstlerinnen und Künstler des Künstlerbundes Tübingen einzuladen, sich mit dem Thema Johann Sebastian Bach zu beschäftigen und dazu eine bildkünstlerische Antwort zu liefern, um damit einen Beitrag auch zu Bach bearbeitet zu leisten.
Acht Künstlerinnen und Künstler haben sich bereit erklärt, sich auf das Thema einzulassen. Es ist eine Bandbreite von Werken – Zeichnungen, Malerei, Aquarelle, Plastiken – entstanden, und auch der jeweilige Zugang zum Thema ist grundverschieden:
Einige Künstler gehen mit ihren Arbeiten auf Kompositionsprinzipien ein: Analog des Kontrapunktes in der Musik, wo Note gegen Note gesetzt wird, um eine Mehrstimmigkeit zu erzielen, setzt Susanne Höfler in einer Serie von 25 Zeichnungen Linien – mal harmonisch, mal dissonant verlaufend.
Die polyphone Mehrstimmigkeit in der Fuge greift Ralf Bertscheit mit seiner quadratischen Arbeit auf, indem er ein formal und farblich gestaltetes „Thema“ in unterschiedlichen Anordnungen immer wieder wiederholt. In einer Folge von Arbeiten nähert sich Gerhard W. Feuchter dem Thema Fuge: ganz plastisch in einer Collage mit Notenblättern, Klaviertastatur und akustischen Wellen und dann sehr reduziert mit einem Papierguss, indem er das „Thema“ auf zwei grüne Halbkreise reduziert, die an ihrer Längsseite versetzt zusammengefügt sind.
Axel von Criegern, Jürgen Klugmann und Frido Hohberger greifen ein Bach‘sches Werk auf. Axel von Criegern drückt die Polyphonie der Brandenburgischen Konzerte anhand einer geschnittenen, punzierten und fein durchlöcherten Aluminiumplatte aus, wodurch er Formenreichtum und Vielschichtigkeit des Meisterwerkes bildlich umsetzt.
Jürgen Klugmann betont in seinen Zeichnungen den Rhythmus der Musik und geht formal subtil auf seine Inspirationsquelle, die Cellosuiten, ein: Formen, Muster, Räume entstehen, ausgewogen und dissonant, aber auch flüchtig – wie die Musik eben auch.
Frido Hohberger setzt Präludium und Fuge des Wohltemperierten Klaviers um, indem er zu Akkorden Farbäquivalente assoziiert und basierend auf komplexen Farbtheorien Farbakkorde schafft. Den Rhythmus der Musik bildet die Größe der Farbfelder ab – eine Art Sychronisierung von Malerei und Musik.
Einen rein biografischen Bezug stellt Ralf Ehmann her, nicht direkt zu Bach, sondern zu einem namhaften
Bachinterpreten. Das Porträt Glenn Goulds konzentriert sich auf die Physiognomie des Pianisten: tiefliegende Augen, die gerade Nase und die nach hinten gekämmten Haare charakterisieren sein Äußeres, der leicht geöffnete Mund seine Spielweise, die er meist durch ein leises
Mitsingen begleitete.
Und schließlich Marina Milke: Auf ihren Blättern
visualisiert sie anhand der parallel verlaufenden
Linien das Notensystem, durch die blaue Farbigkeit und die Transparenz der Aquarellfarbe ist wieder eine Verbindung zum Fließen des Wassers geschaffen. Die Musik spielt sich in den Zwischenräumen ab.
Alle acht beteiligten Künstler haben visuelle Äquivalente für die Musik gefunden, musikalische Gesetzmäßigkeiten und Parameter bildnerisch umgesetzt und das, wo sich doch die Musik in ihrer Immaterialität nahezu vollständig der Ausstellbarkeit bzw. Darstellbarkeit entzieht. Im Katalog haben sie ihre Gedanken dazu schriftlich fixiert.
Der Verein der Freunde des Stadtmuseums begleitet schon seit Beginn der Ausstellungsreihe 2009 das Projekt nicht nur inhaltlich, sondern auch finanziell. Ohne diese Unterstützung wären Ausstellung und Katalog nicht möglich. Dafür danken wir herzlich!
Evamarie Blattner
Wiebke Ratzeburg