Adrienne Braun
Neuordnung der Dinge – Kulturhalle Tübingen – 2. Juni 2016
Adrienne Braun – Kunstkritikerin
Darf Sie herzlich begrüßen und muss gestehen: Diese Laudatio ist mühsam errungen. Denn Ralf Ehmann ist kein Künstler, der gern über seine Arbeit spricht, der eloquent Erklärungen zu Hand hat, griffige Schlagwörter in die Welt schleudert und Thesen und Theorien formuliert. Er ist auch niemand, der sich vollmundig in Bezug zur Kunstgeschichte und zu philosophischen oder kulturhistorischen Traditionen setzte. Soviel sei verraten: Im Vorgespräch zu dieser Ausstellung hat Ralf Ehmann mit beeindruckender Konsequenz eines getan: geschwiegen.
Im Grund hat er recht: Warum dieses Bedürfnis, Dinge in Worte zu fassen, da die Kunst doch selbst beredet ist, sie mit ihren eigenen Mitteln jenseits der Sprache auszudrücken vermag, was sie uns zu sagen hat. Schließlich ist die Kunst in der Lage, Inhalte zu transportieren, die sich nicht annähernd verbalisieren und prägnant in Worte übersetzten lassen.
Es hilft nichts, ich stehe hier und habe nicht mehr zur Verfügung als die gesprochene Sprache, mit der ich versuchen will, zu formulieren, was Ralf Ehmann in seinen Arbeiten doch eindrücklich nonverbal zum Ausdruck zu bringen vermag.
Zunächst das Naheliegende: Ralf Ehmann ist das, was man gern als Doppelbegabung bezeichnet. Er ist Bildhauer und Maler zugleich, er arbeitet in zwei Disziplinen, die doch gänzlich unterschiedlich sind: Die Bildhauerei schafft Volumen im Raum, greifbare, dreidimensionale Objekte, die sich in Relation setzen zum Umraum und zu uns als Rezipienten. Die Malerei dagegen öffnet Bildräume, die nicht haptisch greifbar sind, sondern schiere Illusion.
Die Nähe zwischen den Gemälden und Grafiken und den Skulpturen von Ralf Ehmann ist aber doch unübersehbar: Hier wie dort treffen wir auf Figuren. Meist sind es männliche Gestalten, mitunter Alter Egos des Künstlers, die sich in einer nicht unmittelbar zu entschlüsselnden Interaktion befinden, im Austausch mit Objekten, mit Quadern, geometrischen Körpern.
Die Männer stemmen, stützen, pressen, schieben, ziehen diese Körper. Teils werden sie von den Objekten gestützt, scheinen durch sie Halt zu bekommen, halb scheinen sie von deren schierem Gewicht bedrängt zu werden, erdrückt, bedroht. Hier scheinen die Männer diese Art Kisten zu stapeln, dort sie zu transportieren, sie schleppen sie huckepack oder treiben sie durchs Wasser. Manchmal werfen oder fangen sie sie auch – so genau lässt sich das nicht bestimmen.
Ruhig, konzentriert sind diese Tätigkeiten, ernsthaft und besonnen, und man spürt die Anspannung, das stete sich Mühen. Es ist ein Ringen, ein sich an Dingen abarbeiten. Der Mensch in Interaktion mit der Umwelt, die Arbeit als Grundlage der menschlichen Existenz – und oftmals mit eigener Hände Arbeit.
Immer wieder tauchen auf den Bildern und Blättern Hände auf, die die Gestalten zu studieren scheinen, sie wie ein Wunder betrachten, neugierig, überrascht, befremdet, fasziniert.
Oft haben wir alle Hände voll zu tun, obwohl wir nur zwei Hände haben – oder dummerweise vielleicht auch zwei linke Hände. Dann wieder sind einem die Hände gebunden. Die Sprache verrät es, dass den Händen eine besondere Bedeutung zukommt bei der Kontaktaufnahmen mit der Welt, sie sind das Werkzeug, um uns Dinge aneignen, um zu gestalten und formen. Entsprechend packen diese Hände in den Arbeiten von Ralf Ehmann mal zu, mal wehren sie ab, die halten, tasten, tragen, wiegen, bergen. Und manchmal berühren sie auch eine Wange – wobei sich auch hier nicht eindeutig benennen lässt, ob hinter der zärtlichen Geste nicht auch verletzende Strenge steckt.
Immer wieder skizziert Ralf Ehmann Szenen, die Bezüge zur Realität haben, hier erkennt man einen Hammer, dort steht ein Mann an der Staffelei. Aber letztlich erscheinen uns diese Welten surreal und fremd, als seien es Geisträume,
Es sind eben keine mimetischen Abbilder der Wirklichkeit, sondern vielmehr Sinnbilder. Es sind Sinnbilder für die Existenz schlechthin, für das Ringen des Menschen mit dem Leben und sich selbst. Diese Szenerien veranschaulichen das in die Welt-geworfen-sein, den tagtäglichen Lebenskampf, den Versuch, zu bestehen, das Sein zu meistern.
Gerade bei den Skulpturen sind Menschen und Dingwelt untrennbar miteinander verbunden, sie sind aus dem gleichen Stein gehauen oder aus einem Guss, sie sind unterscheidbar und kommen doch nicht voneinander los. Das Vorhandensein dieser Objekte scheint also konstitutiv für die Existenz dieser Gestalten, das eine ist ohne das andere nicht zu haben. Kein Leben ohne Lebenskampf.
Bloß: Woran erkennen wir eigentlich, dass wir es nicht mit realen Szenen zu tun haben, dass hier nicht profane Brücken gebaut, Kisten verladen oder Holzpfosten geschwemmt werden? Dass wir es nicht oder nicht nur eindimensional mit Künstler und Galerist zu tun haben, die in der Galerie über die Präsentation der Werke debattieren und von denen gleich einer den Hammer nehmen wird, um Nägel in die Wand zu schlagen?
Doch, es wird Gartenarbeit gemacht und die Büsche werden mit Heckenschere und Säge zurechtgestutzt. Und trotzdem ist da etwas, das uns sagt, dass hier Realität nicht eins zu eins imitiert wird. Ralf Ehmann evoziert eine Traumwelt, geistige Räume, indem er eigenwillige Perspektiven wählt. Auch das Spiel mit Proportionen und Dimensionen markiert, dass es nicht um simple Wiederholung der Wirklichkeit geht. Ralf Ehmann schachtelt die Räume mitunter auch surreal ineinander, er verzahnt, was sich nur in der Malerei zusammenbringen lässt.
Auch der Malduktus ist fast geschmiert, die Motive werden zwar ausformuliert, aber es wirkt so, als sei ein Hauch über die Leinwand gegangen, als sei es eher eine Vision und nicht konkret Fassbares. Vor allem ist es aber die Atmosphäre, die Ralf Ehmann seinen Bildern einschreibt. Das wolkige Schwarzgrau der Grafik lässt die Szenen wirken, als schälten sie sich vage aus dem Dunkel der Erinnerungen heraus. In den Skulpturen sind die Oberflächen der Objekte und Figuren ähnlich bearbeitet, grad so, als läge eine Art Schleier über ihnen.
Vor allem aber werden die Figuren trotz ihrer Aktivität nicht schwitzend, keuchend, schuftend vorgeführt, sondern führen ihre wundersamen Tätigkeiten still aus, in sich gekehrt, eher nach Innen horchend als auf das Außen reagierend. Sie sind beschäftigt, aber es ist eben kein Hauruck, kein Anpacken, bevor die nächste Pause kommt.
Dieses entschleunigte, bedachte Tun erinnert eher an Sisyphos, der unentwegt bemüht ist, den Stein auf den Berg hinauf zu rollen. Diese Tätigkeiten haben kein Ziel, wollen nicht vor dem Feierabend erledigt sein, diese Arbeiten enden erst mit dem Ende des Lebens.
Dieser nach innen gerichtete Blick der Figuren ist für uns als Betrachter das wichtigste Signal, dass hier Innenwelten verhandelt werden, dass diese befremdlichen Szenen eher Traumbilder sind, Visionen und Chiffren für die menschliche Existenz an sich.
Deutlicher könnte das Bild kaum sein: Der Mann, der auf einem Steg ins Wasser läuft mit einer Wünschelrute, die ihm doch den Weg weisen soll, ihn leiten. Ernsthaftigkeit, Konzentration, aber auch ein Hauch Ängstlichkeit ist auf seinem Gesicht abzulesen. Immer wieder tauchen bei Ralf Ehmann Wünschelruten auf, die ja ein Instrument sind, um mit der Natur, mit den uns verborgenen Gewalten und Kräften in Kontakt zu kommen. helfen uns, die richtigen Pfade einzuschlagen, uns in Einklang zu bringen auch mit jenen Gesetzen, die wir selbst nicht wahrnehmen. Sind wir nicht alle wie der Blinde, der da hilflos tastend durch die Welt tappt?
Ralf Ehmann führt diese emsigen Männlein nicht vor, er kommentiert ihr Treiben nicht etwa, sondern sein betrachtender Blick ist sanft, liebevoll, teilnehmend. Ihm geht es nicht darum, kritisch und streng der Menschen Tun zu erklären, zu erörtern, ihr Handeln bis in den letzten Winkel auszuleuchten, im Gegenteil schaut er distanziert auf ihr Sein – und gibt dadurch etwas anderem Raum: den Abgründen, den dumpfen Ängste aber auch dem zaghaften Glück des reinen Seins.
Manchmal ahnt man, dass den Figuren Katastrophen widerfahren sind, dass es ein Feuer gab oder ein Meteor eingeschlagen hat, dann wieder geht die Sonne auf, gibt es ein Leuchten am Himmel, ein tröstendes Zeichen vielleicht – und letztlich gilt für alle Akteure dieser Bilder, was in der Radierung „Seismos“ so präzise auf den Punkt gebracht ist: Sie sind verwundbare Kreaturen, die in die Welt geworfen werden, durch die sie sich vorsichtig vorantasten, stets bemüht, nicht zu stürzen – auch wenn sie nirgendwo Halt finden.
Ralf Ehmann erinnert über diese geheimnisvolle Stimmung an die besondere Gemengelage an Emotionen, die wir alle tief drinnen in uns vernehmen können, und die so komplex ineinanderspielen in dem unergründlichen Etwas, das wir Seele nennen.
So berühren die Bilder und Skulpturen von Ralf Ehmann uns jenseits der Ratio, sie evozieren Gefühle, bringen Dinge in uns zum Klingen, leise Ahnungen – aber nie Gewissheit. Deshalb: genug gesagt. Ralf Ehmann hatte ganz recht mit seinem Schweigen. Seine Bilder und Skulpturen wollen erfühlt sein, weil sie selbst beredt genug sind – und das ganz ohne Worte. Ich schweige – davor aber wünsche ich Ihnen schnell noch intensive Begegnungen mit diesen intensiven, feinfühligen wie ausdrucksstarken Arbeiten.
Adrienne Braun
Neuordnung der Dinge – Kulturhalle Tübingen – 2. Juni 2016
Adrienne Braun – Kunstkritikerin