Denkmal Jüdisches Leben in Rottenburg – Metzelplatz

Fotos des Denkmals Jüdisches Leben in Rottenburg

Jüdisches Leben Rottenburg
Jüdisches Leben Rottenburg

Details des Denkmals Jüdisches Leben in Rottenburg

Denkmal Jüdisches Leben Rottenburg
Denkmal Jüdisches Leben Rottenburg
Jüdische Geschichte skulptur
Jüdische Geschichte Skulptur
Jüdische Geschichte Skulptur
Jüdische Geschichte Skulptur
Jüdische-Geschichte-Tafel
Jüdische Geschichte Skulptur

Stele zum Gedenken an das jüdische Leben Rottenburgs eingeweiht

Karlheinz Geppert, Rottenburg am Neckar

Bereits seit etlichen Jahren gab es im Vorstand und im Beirat des Fördervereins Synagoge Baisingen e.V., dem auch die jüdische Geschichte Rottenburgs satzungsgemäß ein besonderes Anliegen ist, Überlegungen zu einem Erinnerungsmal an eben diese wechselhafte Geschichte. Insbesondere dieStandortsuche gestaltete sich nicht gerade einfach, einig war man sich freilich recht schnell, dass mit diesem dauerhaften Zeichen nicht nur an die Shoa, sondern an die „ganze“ Historie erinnert werden soll. Erfreulicherweise leben heute wieder Jüdinnen und Juden in der Großen Kreisstadt, deren Kernstadt eine eigene jüdische Geschichte aufzuweisen hat, die sich in historischer Zeit in drei Epochen gliedern lässt: Erste Anfänge (Ende 13. bis Mitte 14. Jahrhundert), kurze Blütezeit (Ende 14. bis Ende 15. Jahrhundert) sowie Neubeginn und schreckliches Ende (Mitte 19. bis Mitte 20. Jahrhundert).Für die Umsetzung dieser Gedanken konnte der  renommierte Kiebinger Bildhauer Ralf Ehmann gewonnen werden, dessen Eugen-Bolz-Stele auf dem gleichnamigen Platz an den früheren Staatspräsidenten und NS-Widerstandskämpfer erinnert. Letztendlich erschien der Metzelplatzals der geeignetste Standort – am Rande des mittelalterlichen jüdischen Viertels südöstlich derKirche St. Martin (heute Dom), in der Nähe der einstigen Synagoge (Bereich Schulergasse / Stadtlanggasse) sowie der Judengasse (nahe der Zehntscheuer). Am 24. März 2015 konnte die Entwurfsplanung der Gedenkstele samt der Einbindung in den Metzelplatz- Brunnen (Entwurf: Landschaftsarchitekturbüro Prof. Schmid Treiber Partner, Leonberg) im Rottenburger Gemeinderat vorgestellt werden, der den Planungen nach eingehender Diskussion mit großer Mehrheit zustimmte. Während das Kunstwerk aus Mitteln des Fördervereins fi nanziert wurde, trug die Stadt die nicht unerheblichen (Um-)Gestaltungskosten. Ein gutes Jahr später – am Sonntag,
April 2016, wurde das Werk auf Einladung des Rottenburger Oberbürgermeisters Stephan Neher der interessierten Öffentlichkeit vorgestellt. Anwesend waren, neben über zweihundert geladenen und weiteren Gästen, Landesrabbiner Netanel Wurmser, Bischof Dr. Gebhard Fürst, Landesbischof Dr. h.c. Frank Otfried July und der Bildhauer Ralf Ehmann. Musikalisch umrahmt wurde der Festakt, an nd Rita Haller-Haid MdL teilnahmen, von der Stadtkapelle Rottenbudem auch die Abgeordneten Dr. Martin Rosemann MdB urg. OB Stephan Neher, zugleich Vorsitzender des Fördervereins Synagoge Baisingen, skizzierte die Geschichte der Juden in Rottenburg in kurzen Zügen. Die erste Nennung eines jüdischen Einwohners lässt sich ins Jahr 1286 zurückverfolgen. Es gab Zeiten des friedlichen Miteinanders, aber auch Zeiten der Verfolgung und Vertreibung, zuletzt 1939 bis 1944 unter dem NS-Regime. Das Denkmal soll daher an beides erinnern – an das Miteinander, an das Nebeneinander und an die Ausgrenzungen. Anschließend stellte der Künstler Ralf Ehmann sein Denkmal vor: Drei Blöcke im Stein für die drei Epochen jüdischen Lebens in der Geschichte Rottenburgs und ihre Spuren – Spuren von Verfolgung, aber auch vom gewöhnlichen Alltag. Auch die Figur eines „Fragenden“ ist auf dem Denkmal abgebildet. Sie weist in die Zukunft und stellt sozusagen den Heutigen die Frage: „Welche Spuren wollen wir hinterlassen?“ Landesrabbiner Netanel Wurmser dankte danach allen, die das Zustandekommen des Denkmals ermöglicht hatten und ging unter anderem auf das heutige jüdische Leben in Europa ein: Zwar nach dem Holocaust wieder existent, zugleich aber erneut bedroht, so dass viele Juden wieder ans Auswandern denken, um in Sicherheit leben zu können. Er erinnerte an die Namen der jüdischen Rottenburger, die bis ins 20. Jahrhundert hinein hier ihre Heimat hatten: Etwa die Horkheimers, die Berlizheimers, die Bauer und Dierberger. Der katholische Bischof Dr. Gebhard Fürst sah mit dem neuen Denkmal den Metzelplatz als einen Ort der Erinnerung an die reiche jüdische Kultur in unserem Land. Er bedauerte die Verfolgungen der Juden unter dem NS-Regime und fand kritische Worte über das Verhalten der Kirchen in dieser Zeit, zugleich warnte er vor einem erneuten Aufkommen von Fremdenhass: „Das Böse schleicht sich langsam in unser Leben.“ Der evangelische Landesbischof Württembergs, Dr. h.c. Frank OtfriedJuly, sah in dem heutigen Miteinander der Religionen, das alles andere als selbstverständlich sei nach den Gräueln des NS-Regimes, eine Bereicherung und das neue Denkmal damit als Teil einer erhofften lebendigen Erinnerungskultur. Auch er bedauerte die frühere oftmals antijüdische Haltung der Kirchen und schloss mit dem alten jüdischen Gebot: „Erinnere Dich.“

Erinnerung an eine lange, jedoch recht wechselvolle Geschichte: „In dieser Stadt hat es auch vor Jahren viel Juden gehabt, welches alte Brief und Schriften gute Anzeigung geben“ heißt es 1609 in der Chronik des Christoph Lutz von Lutzenhartt. Künftig erinnert eine schlanke, wasserumflossene Säule aus Untersberger Marmor an die jüdische Geschichte Rottenburgs, die nicht nur aus Vergangenheit besteht, sondern auch in die Zukunft weist. Sie verweist auch auf den Umgang mit „Minderheiten“, mit anderen Religionen – ein Thema, das heute aktueller ist denn je.

Hier einige Auszüge aus Beiträgen zur Einweihung:

Ralf Ehmann, Bildhauer, Rottenburg am Neckar-Kiebingen:

„Geschichte ist in Rottenburg allgegenwärtig. Denken wir uns die Geschichte als Abdrücke der Zeit, so sind wir hier übersät von Spuren der Vergangenheit. Wir lenken unseren Blick heute auf eine besondere Vergangenheit dieser Stadt: Es ist die jüdische Geschichte. Wenn wir von Geschichte reden, dann hört sich das zuerst abstrakt an. Wenn wir von jüdischer Geschichte reden, reden wir von Menschen, Mitbürgern jüdischen Glaubens. Menschen, die vielleicht wie Ihre Nachbarin, Ihr Nachbar, die neben Ihnen stehen, waren. Wir stehen heute vor diesem Denkmal, das an die Geschichte des jüdischen Lebens hier erinnert. Was ist zu sehen? Ein Block, ein Pfeiler, drei Epochen des jüdischen Lebens sind symbolisch darin eingearbeitet und dargestellt. Zu sehen sind Zeichen und Andeutungen. Die figürlichen Darstellungen sind so gearbeitet, als ob sie teilweise freigelegt wurden und denkbar wäre, dass darin noch weitere Figuren verborgen sind. Wie ein Blick in die Vergangenheit, von der wir auch nur einen Teil wirklich kennen. Die Zahl drei nimmt in der Gestaltung des Denkmals durch die drei Epochen des jüdischen Lebens in Rottenburg eine wichtige Rolle ein. Es sind drei Davidsterne eingemeißelt. Auch die bearbeiteten oder aufgebrochenen Stellen mit den Figuren sind drei an der Zahl. Um das Denkmal eindeutig zu machen, wurden Davidsterne eingemeißelt, als Symbol für das Judentum. Sie sind mal stärker, mal auslaufend und / oder abgeschnitten dargestellt. Drei Davidsterne, die nicht ein einziges Mal vollständig eingearbeitet wurden: Symbol dafür, dass immer wieder die jüdischen Bewohner flüchten mussten, vertrieben oder deportiert und ermordet wurden. Wichtig war mir jedoch auch, dass der Blick auf das Alltägliche, das Zusammenleben gelenkt wird. So können Sie Szenen entdecken wie eine Frau mit Kind oder ein Mann. Sie tun nichts Besonderes, sie sind einfach nur da. Sie nehmen auch Bezug auf die Gegenwart, das Leben im Alltag, hier auf dem Metzelplatz. Den historischen Bezug stellte ich her durch eine Darstellung von zwei Figuren in mittelalterlicher Kleidung, mit besonderem Hut und einem runden Zeichen auf der Kleidung, denn im Mittelalter gab es Kennzeichnungspflicht für Juden. Zweimal sind kleine Gruppen zu sehen. Eine Gruppe deutet auf die Zusammengehörigkeit und das Zusammenleben, die andere Gruppe deutet auf die schrecklichen Dinge, die diesen Menschen zugefügt wurden, Vertreibung, Demütigungen, Deportationen auf dem Weg zu den systematischen Ermordungen. Die Religion hat einen eindeutigen Platz erhalten, dargestellt durch eine eingearbeitete Tora, ebenso ist ein Betender zu sehen. So deuten all die Darstellungen auf die Geschichte. Eine Figur jedoch deutet auf etwas anderes. Für mich war beim Herstellen die Frage aufgekommen: Was ist denn heute? Gibt es denn wieder jüdisches Leben in Rottenburg? Wie wollen wir denn zusammenleben, wie gehen wir denn miteinander um – mit unseren unterschiedlichen Vorstellungen, Lebensweisen und Religionen? Durch diese Fragestellung entstand, oben neben der Tora, eine Figur, die ich den Fragenden nenne. Diese Figur hebt die Hand, hebt den Kopf in Richtung Himmel, den Blick in die Zukunft, fragend. (…) Wasser umfließt die Skulptur. Wasser ist ein Symbol für das Leben und auch für die geistige Reinigung. Ich sehe in diesem Wasser ein Zeichen der Hoffnung mit der Bitte umVerzeihung für die Ungerechtigkeiten undunsäglichen Verbrechen, die begangen wurden. Blicken wir in die Zukunft, denken wir an ein gutes Zusammenleben, so dass in diesem Wasser Kinder sorglos spielen können.Zu Anfang sprach ich von Spuren der Vergangenheit. Spuren entstehen durch unser Verhalten und Handeln. Und so sollen die Erkenntnisse aus der Vergangenheit uns in der Gegenwart den richtigen Weg weisen, damit wir eine gute Zukunft erschaffen können. Und so stelle ich abschließend die Frage: Welche Spuren wollen wir hinterlassen?“

Bischof Dr. Gebhard Fürst, Diözese Rottenburg-Stuttgart:

Wir sind zusammengekommen, um das Denkmal „Jüdisches Leben in Rottenburg“ einzuweihen. Wir wollen uns dankbar der Geschichte des jüdischen Lebens in Rottenburg erinnern. Wie reich diese Geschichte war und dass sie trotz allem, was geschehen ist, hereinreicht in die Gegenwart, das hat Kulturamtsleiter Karlheinz Geppert in der „Rottenburger Post“ gestern (16. April 2016) eindrucksvoll dargestellt. Wir wollen anlässlich der Enthüllung, der Einweihung der Stele uns auch erinnern, dass diese Geschichte immer wieder Opfer unter den jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger gefordert hat. Insbesondere während der Hitlerdiktatur und des Naziregimes von 1933–1945. Die Stadt Rottenburg und wir alle, die Menschen, die hier leben, erhalten mit dem Mahnmal einen Ort der Erinnerung – einen Ort, auf den wir uns beziehen können, wenn wir trauernund an dem wir auch zeigen, wie sehr uns das Schlimme, das in den Epochen jüdischen Lebens auch geschehen ist, noch heute schmerzt und welch große Schuld damit verbunden ist. Leider waren Christen allzu oft in die Schuldgeschichte gegenüber dem jüdischen Leben bei uns verwickelt, durch Tun oder Wegschauen. Am 12. März 2000 hat Papst Johannes Paul II. in einem feierlichen Akt auch ein Schuldbekenntnis im Verhältnis zum Volk Israel ausgesprochen. Er hat gebetet: Gott unserer Väter, du hast Abraham und seine Nachkommen auserwählt, deinen Namen zu den Völkern zu tragen: Wir sind zutiefst betrübt über das Verhalten aller, die im Laufe der Geschichte deine Söhne und Töchter leiden ließen. Wir bitten um Verzeihung und wollen uns dafür einsetzen, dass echte Brüderlichkeit herrsche mit dem Volk des Bundes. Darum bitten wir durch Christus unseren Herrn. Hier, an dieser Stelle, ist der Ort an dem wir uns die Frage stellen müssen: „Wie konnte es soweit kommen – mitten unter uns?“ Bereits mit dem ersten Akt der Gewalt gegen die Menschen, die bei uns, mit uns und unter uns gelebt haben, bereits mit den ersten willkürlichen Schikanen und Repressionen, mit der Enteignung und der Entrechtung, mit der Ausgrenzung und schließlich mit dem Abtransport und der Ermordung zahlloser Unschuldiger, ist jüdisches Leben auch hier in Rottenburg zerbrochen. Zerbrochen sind in Deutschland und vielen anderen Ländern Europas nicht nur die Leben der Opfer. Verändert hat sich fortan auch das Leben der Zurückgebliebenen. Auch die Täter blieben zurück. Bis heute dürfen wir die Täter nicht von ihrer Schuld für das unendliche Leid so vieler Menschen entlasten. Was immer wieder geschehen ist hier in der Stadt, die seit Anfang des 19. Jahrhunderts auch Bischofsstadt ist, gehört zu der Schuldgeschichte, die mit dem jüdischen Leben bei uns verbunden ist. Was geschehen ist, ist kein historisches Faktum, das sich einfach ad acta legen ließe. Das Geschehene, die Wunden, die ehemals geschlagen wurden, lassen sich nicht auslöschen. Der Genozid an Millionen unschuldiger und wehrloser jüdischer Bürger und weiterer zahlloser schutzloser Menschen berührt die Grenze unseres Verstehens. Können wir, ja dürfen wir den Höhepunkt der Verachtung der Schöpfung Gottes überhaupt in Worte fassen? – „Weint mit den Weinenden“, schreibt der Apostel Paulus im Römerbrief (Röm 12,15). Mitleiden, das ist der tiefste Ausdruck der Solidarität für die unzähligen unschuldigen und oft namenlosen Opfer. Diese Stele hier am Metzelplatz schafft auf künstlerische Weise einen bleibenden Ort des Gedenkens. Die Stele erinnert an das jüdische Leben in Rottenburg. Die Stele ist gleichzeitig der Versuch, sich jener Erinnerung verantwortlich zu stellen, die für die Zukunft und Gegenwart Bedeutung haben muss. Dieses Denkmal soll uns und den nachfolgenden Generationen zugleich zeigen, dass wir heute ohne dieses reiche jüdische Leben bei uns ärmer geworden sind. In einer Zeit des zunehmenden Antisemitismus, in der jüdisches Leben in Israel und in vielen Teilen der Welt, aber auch in Europa und in Deutschland erneut bedroht ist, ist es wichtig, dass wir solche Orte des Erinnerns schaffen. So wird dieser Ort hier, der Metzelplatz in der Stadt Rottenburg, zum Ort des Gedenkens, zum Ort der Trauer für die Opfer, ein Ort zur Erinnerung an die bösen Taten der Täter und vielleicht auch ein Ort des Gebets. Ich hoffe aber zugleich, dass die Dankbarkeit gegenüber dem reichen jüdischen Leben seit dem 13. Jahrhundert hier in Rottenburg durch die Schuldgeschichte nicht ausgelöscht wird. Aus dieser Dankbarkeit erwächst uns die rechte Verantwortung und Kraft, alles zu tun, dem Antisemitismus schon in den kleinsten Regungen zu widerstehen und entschieden zu wehren. So möchte ich an dieser Stelle all jenen danken, die diesen Ort des Erinnerns ermöglicht und geschaffen haben. Der Metzelplatz reiht sich nun ein in die Gedenkorte für die Opfer des Nationalsozialismus, dem Gedenkort für den Bekennerbischof JoannesBaptista Sproll am Portal des Bischöflichen Palais und dem Ort des Gedenkens an den württembergischen Staatspräsidenten und Blutzeugen Eugen Bolz. Diese Orte mahnen uns. Im aktiven Erinnern wissen wir, wohin unser Wegsehen, aber auch unser Hinsehen führen kann. Der tief empfundene Dank für das 700 Jahre und mehr währende jüdische Leben in Rottenburg möge uns dafür die Kraft geben.“

Landesbischof Dr. h. c. Frank Otfried July, Evangelische Landeskirche Württemberg:

„(…) zur Einweihung eines Denkmales zum Jüdischen Leben in Rottenburg sind wir heute beieinander und ich möchte zunächst meine große Freude darüber ausdrücken, dass diese Einweihung in einem solch guten Miteinander geschehen kann. Dabei meine ich nicht nur das Miteinander zwischen den Vertretern der Stadt und der Kirchen, sondern vor allem auch zwischen den Repräsentanten der jüdischen Gemeinde unseres Landes und denen der christlichen Konfessionen. Auch über 70 Jahre nach Ende der furchtbaren Zeit der Shoa, in der Millionen jüdischer Menschen vertrieben und ermordet wurden, ist es überhaupt nichts Selbstverständliches, sondern immer noch ein Wunder, dass solche Begegnungen heute eigentlich problemlos möglich sind. Vielen Dank auch an dieser Stelle dem Vertreter der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs, Herrn Landesrabbiner Wurmser, vielen Dank, dass wir – trotz mancher bis zur Gegenwart auftretenden Irritationen und noch mancher nicht überwundener Vorurteile – inzwischen auf ein so gutes Miteinander in gegenseitigem Vertrauen aufbauen können! Auch hier in Rottenburg haben sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten viele Menschen engagiert, so dass das Verhältnis von Christen und Juden unseres Landes inzwischen von einem Miteinander und einem gegenseitigen Vertrauen geprägt ist: Ich denke an diejenigen, die sich seit den 1980er-Jahren darum bemühten, dass aus der damals heruntergekommenen ehemaligen Synagoge in Baisingen eine würdigeund eindrucksvoll gestaltete Erinnerungsstätte geworden ist. Ich denke an diejenigen, die durch Publikationen und durch Öffentlichkeitsarbeit die Geschichte der Juden in Rottenburg und in Baisingen aufgearbeitet und für jedermann zugänglich gemacht haben. Und ich denke an diejenigen, die dazu beigetragen haben, dass wir heute dieses Denkmal zum jüdischen Leben in Rottenburg einweihen können. Eine lebendige Erinnerungskultur, getragen von möglichst vielen und vor allem auch von jungen Menschen, ist von großer Bedeutung für ein auch in der Zukunft gelingendes und gutes Miteinander! Beschämt denken wir heute bei derEinweihung des Denkmals für die jüdische Geschichte in Rottenburg an die Jahrhunderte zurück, in denen – vor allem auch auf Grund einer falschen Lehre der Kirche – kein gutes Verhältnis bestand zwischen denen, die sich heute als Geschwister im Glauben an den einen Gott verstehen. Beschämt denken wir zurück an das Mittelalter, als – wie in vielen anderen Städten auch – in Rottenburg in der Pestzeit 1348 das jüdische Leben in der Stadt grausam zerstört wurde. Immer wieder kam es im Mittelalter zu Pogromen gegen Juden oder zu Vertreibungen, wie aus Rottenburg in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Pogrome und Vertreibungen wurden maßgeblich gefördert durch die antijüdische Einstellung der Kirche, denken wir etwa an die Verhöhnung der Juden durch die verbreiteten Darstellungen von Synagoga und Ekklesia. Jene mit verbundenen Augen und gebrochener Lanze, diese – die Ekklesia, die Kirche – mit Krone und Zepter als den Symbolen für die angebliche Sieghaftigkeit und Überlegenheit der Kirche. Heute wissen wir, dass damals die Kirche und nicht die Synagoge für die Wahrheit blind gewesen ist! Heute wissen wir, dass die Menschen jüdischen Glaubens unsere älteren Geschwister im Glauben sind und dass der Neue Bund in Christus eine Öffnung des Heils und keine Ablösung des Bundes Gottes mit Israel ist! Inzwischen wissen wir auch und haben dies oft so erfahren, dass wir Christen von Juden vieles lernen können, etwa in der Auslegung der hebräischen Bibel. Wir haben erfahren, dass Juden den Christen in vielem die Augen öffnen können. Beschämt denken wir zurück an die Zeit ständiger „Vergegnungen“ zwischen Juden und Christen – um einen Begriff Martin Bubers zu nehmen – bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Erst in den Jahren seit dem Ende der Shoa ist es zu neuen und offenen Begegnungen, zum Abbau von Vorurteilen und zur Korrektur falscher theologischer Einstellungen gekommen. Wir sind dankbar für alles, was in dieser Zeit gewachsen ist. Zur Geschichte der Juden in Baisingen und auch in Rottenburg gehört zwar zwischen dem 18. und 20. Jahrhundert ein zeitweise freundliches Neben- und Miteinander von Juden und Christen, aber letzteres war nicht stark genug, um den immer stärker aufkommenden Antisemitismus abzuwehren. Beschämt denken wir heute an dieGeschichte der Kirchen in der NS-Zeit zurück, in der sie der Rassen- und Vernichtungspolitik nicht entschieden widerstanden, sondern weitgehend zu ihr geschwiegen haben. Heute und auch in Zukunft müssen wir daraus lernen und alles tun, um uns gegen jede Form von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu stemmen. Die Erinnerung an das, was geschehen ist, gehört in ganz besonderer Weise zu dem, was uns helfen kann, dass wir nicht noch einmal durchleben müssen, wohin Rassismus und Fremdenfeindlichkeit führen können. Das Gebot, uns zu erinnern, nimmt dabei ein wichtiges Anliegen der Bibel auf. Es gehört zwar nicht zu den Zehn Geboten, aber es kommt dennoch häufi g vor: die Mahnung der hebräischen Bibel: „SACHOR“ – „erinnere dich!“ Erinnern sollen wir an Ereignisse in der Geschichte: zum einen an Geschehnisse, durch die Gott den Menschen und seinem Volk Gutes getan hat, zum anderen aber auch an Ereignisse der Geschichte, aus denen wir für die Gegenwart und die Zukunft lernen können. Das Denkmal für die Geschichte der Juden in Rottenburg soll in diesem Sinne eine Mahnung für die Zukunft sein, dass die Erinnerung an die Geschichte der Juden in dieser Stadt einen selbstverständlichen Raum innehat, ja dass in der Zukunft weitere Formen der Erinnerung möglich sind. In einer Zeit des 21. Jahrhunderts, wo es ganz neue Herausforderungen gibt im Blick auf Toleranz und auf neues Zusammenleben zwischen Menschen unterschiedlicher Kulturen und Religionen, ist die Erinnerung an gelungenes und immer wieder auch bedrohtes Miteinander von großer Bedeutung, damit niemand die Vergangenheit neu durchleben muss.“

Weitere Informationen zum Denkmal Jüdisches Leben in Rottenburg

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Wirtschaft Tourismus Rottenburg am Neckar

Denkmal Jüdisches Leben – Metzelplatz, Rottenburg am Neckar